Die Tagung »Kirche weitergebaut XII« zum Thema »Landliebe – Potenziale ländlichen Kirchen(um)baus« konnte, verschoben vom November 2021, nun in Präsenz am 28. März 2022 in der Katholischen Akademie Schwerte stattfinden. Zu Fragestellungen rund um die »Kirche im Dorf« wurden aus den drei Perspektiven der Humangeographie, der Theologie und der Architektur historische sowie auch aktuelle Entwicklungen vorgestellt und diskutiert. Nach einer kurzen Einleitung von Tagungsleiterin Prof. Dr. Stefanie Lieb, die die emotionalen und identitätsstiftenden Aspekte des Dorflebens »mit Kirche« hervorhob, reflektierte Prof. Dr. Gerhard Henkel von der Universität Duisburg-Essen aus seiner jahrzehntelangen humangeographischen Dorf-Forschung die seit den 1970er Jahren und der ersten Leerstandphase entstandenen Initiativen zum Dorferhalt und zur –wiederbelebung. Bereits damals formierten sich Bürgervereine, die auf ehrenamtlicher Basis für eine bessere Infrastruktur und kulturelle sowie soziale Lebensqualität auf dem Land eintraten. Im Rückblick habe sich bewahrheitet, dass die großen Gebietsreformen der 1970er Jahre in einigen Bundesländern (darunter auch NRW) mit der Auflösung der kleinen eigenständigen Lokalstrukturen zu einer Beschleunigung des Dorfsterbens geführt haben. Von diesem zentralistischen Konzept hat sich die Kommunalpolitik inzwischen in Teilen wieder verabschiedet und unterstützt nun seit längerem die vielen lokalen Eigeninitiativen auf dem Land, um die soziale Infrastruktur zu stärken. Die Dorfkirche sei bei diesen Prozessen ein wichtiger sozialer Ort, der nur leider aufgrund der »Eingemeindungen« von Dorfpfarreien zu großen Pfarrverbünden unterzugehen drohe, da er dann wegen des noch hinzukommenden Priestermangels zu wenig geöffnet und genutzt werden könne.
Die evangelische Theologin Dr. Kerstin Menzel, die als Mitarbeiterin des DFG-Forschungsprojekts TRANSARA zu Sakralraumtransformationen in Deutschland an der Universität Leipzig forscht, skizzierte nachfolgend Initiativen für den ländlichen Kirchenbau in Mitteldeutschland und arbeitete hierfür eine spezifische Transformationsentwicklung heraus, die in der Geschichte der evangelischen Kirche zu DDR-Zeiten begründet liegt: Bereits in den 1970er Jahren existierten Umnutzungsinitiativen für den Kirchenbau, die die von staatswegen vernachlässigten Sakralgebäude besonders in den Städten durch neue Nutzungskonzepte zu erhalten versuchten. Nach der Wende mit den einhergehenden Umbruchszenarien im ländlichen Raum wie Strukturrückbau, einem massiven Bevölkerungsschwund sowie der geringen Anzahl von Kirchenmitgliedern mussten neue Wege für den Umgang mit dem hohen Bestand von 3.760 Kirchen und Kapellen in Mitteldeutschland (98% davon sind Denkmäler) gefunden werden. Kerstin Menzel stellte an einigen Beispielen wie der Rittergutskirche in Kleinliebenau bei Leipzig (Pilgerkirche), der Kunstkirche in Bad Berka/Bergern in Thüringen (2008 ausgemalt vom amerikanischen Künstler Matt Lamb) und der ökumenischen Ökokirche in Deutzen unterschiedliche aktuelle Initiativen zum Umgang mit Dorfkirchen vor. Diese können einmal auf übergeordneter institutionalisierter Ebene verankert sein, wie die Internationale Bauausstellung in Thüringen unter dem Motto »500 kirchen 500 ideen«, haben aber als Grundvoraussetzung immer das ehrenamtliche Engagement der kirchlichen und bürgerschaftlichen Gemeinden vor Ort, die sich z. B. häufig in Kirchbauvereinen zusammengeschlossen haben, um ihre Dorfkirche am Leben zu erhalten.
Als ein Beispiel für eine gelungene Weiternutzung einer Kapelle im ländlichen Raum aus dem Erzbistum Paderborn stellte abschließend Architektin Mechthild Clemens vom Büro clemensundmaas architektinnen, Arnsberg, das Projekt der Rodentelgenkapelle in Arnsberg-Bruchhausen vor. Das aus dem 15. Jahrhundert stammende Sakralgebäude verfiel seit dem Neubau einer benachbarten Pfarrkirche in den 1920er Jahren zunehmend und wurde nur noch sporadisch genutzt. 2009, nachdem bereits Überlegungen hinsichtlich eines Abrisses laut wurden, gründete sich ein Förderverein, der sich zusammen mit der Kirchengemeinde für den Erhalt einsetzte und mit viel Eigeninitiative die Sanierung in Angriff nahm. In Zusammenarbeit mit dem Architektinnenbüro clemensundmaas, der zuständigen Denkmalbehörde und dem Erzbistum Paderborn wurde in einem langen Zeitraum von über zehn Jahren die Kapelle zu einem denkmalgerecht umgestalteten Kirchenraum mit multifunktionaler Nutzungsperspektive. Mechthild Clemens verdeutlichte in ihrem Vortrag die vielen baukonstruktiven und –statischen Herausforderungen, die während des Umbauprozesses auftraten, betonte aber auch, dass die Probleme durch die sehr gute Zusammenarbeit aller Akteure bewältigt werden konnten. Mit der Kurzvorstellung des Umbaus von St. Antonius in Eisborn zog die Architektin ein zweites Beispiel für eine Dorfkirchenneugestaltung heran: Hier galt es eine Kombination aus neugotischem Längsbau und kreuzendem 1960er Jahre-Kirchenschiff zu einer neuen liturgischen, kleineren Einheit im Inneren zusammenzuführen. Clemensundmaas lösten das Problem, indem sie auf der alten liturgischen Achse einen Communio-Raum konzipierten und in den großen Nachkriegskirchenraum einen Gemeindesaal als hölzerne »Box« integrierten.
Bei der anschließenden Abschlussdiskussion schilderten Mitglieder des Fördervereins der Rodentelgenkapelle die anfänglichen Schwierigkeiten, die vor allem auch mit der Finanzierung des Projekts verbunden waren. Diözesanbaumeisterin Carmen Matery-Meding verwies darauf, dass im Unterschied zu anderen Bistümern im Erzbistum Paderborn als einer per se ländlichen Region die Kirchengebäude in ihrem Bestand nicht so stark auf dem Prüfstand stehen, man aber dennoch von Seiten des Bistums auch die künftige Finanzierung bei sinkenden Mitgliederzahlen und mangelnder Nutzung im Auge behalten müsse. Innovative Projekte mit viel Eigeninitiative wie in Bruchhausen wären diesbezüglich Aushängeschilder und Hoffnungszeichen. Prof. Dr. Barbara Welzel von der TU Dortmund forderte am Schluss der Diskussion, dass die Kirchen in Bezug auf ihre ländlichen Sakralbauten als wichtige kulturhistorische Landschaftsmarkierungen und christliche Zeugnisse im Dorfkontext eine große gesamtgesellschaftliche Verantwortung haben und sie dementsprechend diese Bauten erhalten und durch sinnvolle Umnutzungen pflegen müssen.
(Stefanie Lieb)