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Abb. 1: Hürth-Kalscheuren, Böhm-Chapel (Foto: S. Lieb)
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Abb. 2: Aachen-Hanbruch, St. Hubertus (Foto: S. Lieb)
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Abb. 3: Köln-Sülz, Areal der Waisenhauskirche mit Wohnquartier, Luftbild (Foto: HG Esch)
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Abb. 4: Köln-Sülz, Modell zum Umbau der Waisenhauskirche, nebelpössl architekten, Köln (Foto: HG Esch)
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Abb. 5: Köln-Sülz, Waisenhauskirche nach dem Umbau, Außenansicht, nebelpössl architekten, Köln (Foto: HG Esch)
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Abb. 6: Köln-Sülz, Waisenhauskirche nach dem Umbau, Detailansicht Außenbau, nebelpössl architekten, Köln (Foto: HG Esch)
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Abb. 7: Köln-Sülz, Waisenhauskirche nach dem Umbau, Obergeschoss mit ehemaligem Gottesdienstraum, nebelpössl architekten, Köln (Foto: HG Esch)
Die Tagung »Kirche weitergebaut XI« fand diesmal coronabedingt am 30.11.2020 online statt. Zum Thema »Sakralraumtransformationen - Gottfried Böhm zum 100. Geburtstag« wurden drei Kirchenbauten Böhms in Bezug auf Transformationspotenziale sowie -prozesse vorgestellt und analysiert. Neben dem langjährigen Kooperationspartner der Tagung, dem Bauamt im Erzbischöflichen Generalvikariat Paderborn, kam diesmal federführend die neue interdisziplinäre Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft TRANSARA hinzu, die sich seit dem Frühjahr 2020 wissenschaftlich mit der Thematik der »Sakralraumtransformation in Deutschland« auseinander setzt und ihr Konzept in einem vorgeschalteten Workshop zur Böhm-Chapel in Hürth und zur Kirche St. Hubertus in Aachen präsentierte. Im Tagungsteil stand die jüngst umgebaute Kirche »Zur Heiligen Familie« (die sogenannte »Waisenhauskirche«) von Gottfried Böhm in Köln-Sülz im Fokus. Das Kölner Architekturbüro nebelpössl architekten, das den Transformationsprozess von der »Waisenhauskirche« zum »Kulturzentrum« eines neuen Wohnquartiers baulich umgesetzt hatte, wurde vom Architekten Dipl.-Ing. Bork Schiffer vertreten, der für den kurz vor der Tagung tragischerweise tödlich verunglückten Büroleiter Dipl.-Ing. Thomas Nebel einsprang. Ihm wurde die Veranstaltung kurzfristig gewidmet und einleitend seiner mit einem Gebet und einer Andachtsminute gedacht. Begleitend zur Vorstellung des Umbaus der »Waisenhauskirche« gaben Erzdiözesanbaumeister Dipl.-Ing. Martin Struck sowie der Kölner Stadtkonservator Dr. Thomas Werner ihre Statements aus Sicht der Denkmalpflege ab.
Nach einer Begrüßung durch Tagungsleiterin Prof. Dr. Stefanie Lieb, stellten Prof. Dr. Albert Gerhards und Dr. Kim de Wildt die Forschungsgruppe TRANSARA mit ihren sieben Teilprojekten aus unterschiedlichen Fachdisziplinen der Praktischen Theologie, Liturgie- und Religionswissenschaft, Philosophie, Architektur, Kunstgeschichte und Immobilienwirtschaft und von den beteiligten Universitäten in Bonn, Köln, Wuppertal, Leipzig und Regensburg vor. Es wurde verdeutlicht, dass die Forschungsgruppe mit ihrem fächerübergreifenden Ansatz nicht nur die Probleme und Defizite, die häufig mit Kirchenumnutzungen einhergehen, aufzeigen und analysieren möchte, sondern vielmehr durch die Beobachtung und Auswertung von Transformationsprozessen Chancen und Wege für diversere und kreativere Modelle von zukünftigen Sakralbau-Nutzungen in Deutschland bis hin zu einer neu konfigurierten Theorie des Sakralraums erarbeiten will.
Workshop-Teil: Böhm-Chapel und St. Hubertus in Aachen
Der Workshop begann dann mit der Vorstellung der Böhm-Chapel in Hürth (bei Köln), der ehemaligen katholischen Kirche St. Ursula, die Gottfried Böhm 1956 als runden Zentralbau mit Kapellenkranz und abschließendem Betonschalengewölbe sowie hohem Betoncampanile im damaligen Neubaugebiet von Hürth errichtet hatte (Abb. 1). 1993 erfolgte die Unterschutzstellung durch die staatliche Denkmalpflege, 2006 wurde die Kirche profaniert und verkauft und ab 2010 vom Galeristen Jablonka zu einer Galerie für zeitgenössische Kunst umgebaut und genutzt. Prof. Dr. Stefanie Lieb vom Kölner TRANSARA-Teilprojekt 3 wertete diese kulturelle Transformation kunsthistorisch als gelungen, da trotz der Profanierung des Kirchenraums der heutige Galerieraum immer noch die Raumbezüge der umliegenden Sakramentskapellen erkennen ließe und der präsentierten zeitgenössischen Kunst die Möglichkeit des Transzendenzbezuges eröffne. Prof. Dr. Albert Gerhards vom Teilprojekt 1 aus Bonn referierte nachfolgend aus eigener Erfahrung die Schwierigkeiten, die mit dem nach der Profanierung der Kirche einsetzenden langwierigen Transformationsprozess verbunden waren; dokumentiert ist dieser Verlauf in einer eigenen Publikation.[1] In ihrem Beitrag »Mehr als ein Patrozinium? Von St. Ursula zur Böhm-Chapel« brachte Dr. Kim de Wildt vom Teilprojekt 6, ausgehend von Marc Augés Begriff der »Nicht-Orte«,[2] die These in die Diskussion, dass es sich bei der Böhm-Chapel ähnlich wie bei der berühmten Rothko-Chapel um einen auratischen Kunstraum handle, der durch die Kunstinszenierung in einer prominenten Architekten-Kirche eine starke »Religionisierung« erfahren habe. Dr. Kerstin Menzel und Prof. Dr. Alexander Deeg vom Leipziger Teilprojekt 2 führten daraufhin unter dem Titel »Offene Mitte und freigelegte Tendenz« ihre Überlegungen zur Böhm-Chapel und zur Hybridität von Kunst und Kirchenraum an und stellten die Frage in den Raum, ob vielleicht durch die Freiräumung der Profanierung der ursprüngliche intendierte Zentralraumcharakter der Böhm-Chapel sogar noch klarer zur Geltung gekommen sei. In der anschließenden Diskussion zur Böhm-Chapel wurde die aktuelle städtebauliche Situation mit der Randbebauung eng um das Kirchengebäude herum bemängelt, da sie nicht der freistehenden Ursprungslage entspricht. Grund dafür sei der unabhängig von der Kirche erfolgte Verkauf der umliegenden Grundstücke gewesen.
Als weiteres Beispiel einer in Transformation befindlichen Böhm-Kirche wurde im Workshop der 1966 entstandene Bau St. Hubertus in Aachen-Hanbruch vorgestellt, eine als monolithischer »Betonfels« geformte Kirche, die als Vorstufe und Experimentierphase für den kurz danach entstandenen berühmten »Mariendom« in Neviges von Gottfried Böhm verstanden werden kann (Abb. 2). Prof. Dr. Albert Gerhards analysierte das Raumprogramm dieser Kirche unter den drei Parametern »Versammlung«, »Annexräume« und »öffentlicher Raum« und resümierte, dass es hier für die Liturgiewissenschaft Raumpotenziale zu entdecken gäbe, die auch für ein Umnutzungskonzept fruchtbar gemacht werden könnten. Albert Gerhards verwies auch auf das Seminarprojekt der FH Aachen von 2018, bei dem Architekturstudierende im Seminar von Prof. Dr.-Ing. Anke Fissabre und Prof. Dipl.-Ing. Heike Matcha Entwürfe für eine Umnutzung von St. Hubertus entwickelt haben.[3] Nachfolgend referierte Dr. Robert Plum vom Bonner Teilprojekt 7 aus Sicht von Philosophie und Patoraltheologie mit dem Titel »Ich glaube, was ich baue – philosophische Reflexionen über Sakralraumtransformation« über das Architekturverständnis Gottfried Böhms und den Zusammenhang zwischen Glauben und Bauen: Ihm geht es nicht um »zu Beton gewordene Liturgie«, sondern um das »stille Betrachten der einfachen, symbolfreien Existenz dieser Wände, wie sie da stehen mit ihrer Materialität, ihrem Gewicht, wie sie lasten, wie der Bau einfach dasteht, ohne Symbolgehalt.«[4] Prof. Dipl.-Ing. Ulrich Königs vom Wuppertaler Teilprojekt 4 zu »Architektonischen Perspektiven der Sakralraumtransformation« erläuterte zu Beginn seiner Darlegung über »Architektonische Machbarkeiten bei der Sakralraumtransformation von St. Hubertus«, dass Architekten generell Ideen von zu bauender Architektur mit sich herum tragen. Das Angebot zur Planung einer Kirchenumnutzung sei also nicht der Anlass für einen Architekten zum Entwurf und zur Realisierung, sondern eher ein Mittel zum Zweck.[5] Für mögliche Transformationsperspektiven legte Königs drei Diagramme vor zu einer 1) Nutzungserweiterung mit verbleibendem Gottesdienstraum, 2) Teilumnutzung mit Haus im Haus-Prinzip und 3) Neunutzung mit Variante »Kletterkirche«. In der abschließenden Betrachtung beschrieb Prof. Dr. Sven Bienert vom Regensburger Teilprojekt 5 zu »Immobilienwirtschaftlichen Implikationen der Sakralraumtransformation«, dass es bei Kirchenimmobilien eben nicht um eine rein monetäre Einschätzung gehe, sondern, dass auch der immaterielle Wert eines Kirchengebäudes beurteilt werde, der sich u.a. auch nach der religiösen Identifizierung und der Außenwirkung bemesse. Erfahrungsgemäß sind bei einer Kosten-Nutzen-Rechnung für Sakralraumtransformationen Konzepte mit einer alleinigen Nutzung schwieriger umsetzbar, hybride Nutzungen sind hier vorzuziehen. Für den Fall von St. Hubertus in Aachen kann man für eine erste Abwägung ein gutes Einzugsgebiet konstatieren, für das sich eine öffentliche Nutzung anbieten würde.
In der darauffolgenden Diskussion im Plenum wurden die Nutzungsvorschläge für St. Hubertus in Aachen kontrovers diskutiert, u.a. darum, da es zunächst Unstimmigkeiten über den originären Zustand der Fassadenverschieferung gab. Diese muss man aber laut Entwurfsplanvorlage annehmen, so dass St. Hubertus in dieser Fassung als Denkmal anzuerkennen ist.
Tagungs-Teil: ehem. Kirche »Zur Heiligen Familie« (Waisenhauskirche) in Köln-Sülz
Der Tagungsteil von »Kirche weitergebaut XI« am Nachmittag widmete sich dann ausschließlich dem jüngst fertig gestellten Umbau der ehemaligen Kirche »Zur Heiligen Familie« in Köln-Sülz, die Gottfried Böhm von 1955 bis 1959 auf dem Gelände des Kinderheims in Köln-Sülz als »Waisenhauskirche« unter Einbeziehung des neubarocken Turms vom Vorgängerbau errichtet hat (Abb. 3-7). Sie ist als zweigeschossiger Betonkubus mit zwei seitlichen Brückenbauten zu den angrenzenden Gebäuden angelegt und erhält aufgrund des verglasten Erdgeschosses sowie der dekorierten Außenwände mit einem Hirte-Schäfchen-Relief eine leicht schwebende und spielerische Anmutung. Dipl.-Ing. Bork Schiffer vom Kölner Architekturbüro nebelpössl referierte ausführlich die Planungen und die Umsetzung des Umbaus dieser Kirche zum »Kulturraum in einem neuen Wohnquartier«, die in engem Austausch mit dem Architekturbüro Böhm sowie der kirchlichen und staatlichen Denkmalpflege erfolgte. Von Vorteil für das Gelingen dieses Transformationsprozesses war sicherlich auch der Tatbestand, dass eine Wohnungsbaugenossenschaft, die auch die Sanierung und den Teilneubau des umliegenden Wohnquartiers regelte und förderte, auch beim Umbau der Kirche als Träger auftrat. Nach Auflösung des großen Kinderheims im Stadtteil Köln-Sülz 2010 stand die Kirche leer und verwahrloste zusammen mit den umgebenden ehemaligen Gebäuden des Kinderheims. Im nachfolgend ausgeschriebenen Wettbewerb sollte im Stadtviertel mit der Sanierung und dem Umbau zu Wohnungen und öffentlichen Einrichtungen eine neue »Dorfstruktur« entstehen, für die die ehemalige Kirche als Zentrum und Landmarke fungieren sollte. Bei den Überlegungen zur neuen Nutzung der Kirche einigte man sich schnell über eine kulturelle und multifunktionale Version, mit zunächst der Planung eines Restaurants oder einer Kita für das gläserne Erdgeschoss, die dann später zur Einrichtung der Geschäftsstelle der Wohnungsbaugenossenschaft mit Büros umdisponiert wurde. Auch in den wiederhergestellten seitlichen Brücken wurden Räumlichkeiten für die Genossenschaft eingerichtet. Im Obergeschoss, dem ehemaligen Kirchenraum, wurde die besondere Raumatmosphäre durch den punktuellen Lichteinfall der über 120 kleinen achteckigen Fensteröffnungen erhalten. Als gravierendster Eingriff in die ursprüngliche Raumstruktur erfolgte die Entfernung der Altarzone inklusive Altar und Ziborium und dem Einbau einer hölzernen Treppenanlage, die nun vom Erdgeschoss in den oberen Multifunktionssaal führt. Dieser kann zu diversen feierlichen und kulturellen Anlässen gemietet und entsprechend flexibel ausgestattet werden. Architekt Bork Schiffer erläuterte dann noch ausführlich die aufwendige Betonsanierung am Außenbau sowie im Inneren des Gebäudes, die für einen langfristigen Erhalt im Sinne der denkmalpflegerischen Auflagen notwendig war. Summa summarum ist das Büro nebelpössl mit dem Ergebnis der umgebauten Waisenhauskirche zu einem neuen Kulturraum im wiederbelebten Stadtteilwohnviertel Köln-Sülz sehr zufrieden, so Bork Schiffer. Er hofft, dass der konzipierte neu entstandene öffentliche Raum in und um die ehemalige Kirche entsprechend von den Bewohnern auch angenommen werde.
Im Anschluss an die Ausführungen des Architekturbüros äußerte sich der Kölner Erzdiözesanbaumeister Dipl.-Ing. Martin Struck zum Transformationsprozess der Waisenhauskirche und betonte einleitend, dass in diesem besonderen Fall die Stadt Köln der Besitzer der Kirche war, da das Kinderheim als städtische Einrichtung fungierte und Ordensschwestern von der Erzdiözese Köln die Betreuung der Kinder übernommen hatten. Als Folge der Aufgabe und Entwidmung der Kirche nach 2010 mussten auch Altar und Ziborium gemäß des Kirchenrechts leider zerstört und entfernt werden. Ebenso mussten das Taufbecken, der Tabernakel, die Orgel, das Gabelkreuz und die massiven Ahorn-Holzbänke im Kirchenraum entfernt bzw. an andere Gemeinden, Museen sowie Depots weitergegeben werden, von der sakralen Ausstattung konnten jedoch die Beichtstühle (da im Bauverband) sowie der Kreuzweg im Raum verbleiben. Hier wäre es wichtig, dass bei der neuen Nutzung des Raumes die sakralen Utensilien in ihrer ehemaligen Funktion gewürdigt würden.
Stadtkonservator Dr. Dipl.-Ing. Thomas Werner referierte am Schluss aus Sicht der städtischen Denkmalpflege über einzelne Aspekte der Sanierung bei der Waisenhauskirche besonders. So wies er vor allem auf die Rekonstruktion und Neugestaltung der seitlichen Brücken hin, die zur Sichtbarmachung des historischen Ensemblecharakters der Kinderheimanlage mit Kirche bedeutend seien, gleichzeitig aber auch als neu erstellte Baukörper durch eine modische Verkleidung mit perforierten Metallpanelen gekennzeichnet sind. Thomas Werner wertete aus seiner Perspektive den gesamten Transformationsprozess der Waisenhauskirche in Zusammenarbeit mit der kirchlichen Denkmalpflege sowie dem verantwortlichen Architekturbüro und dem genossenschaftlichen Träger als überaus gelungen.
In der aus Zeitgründen sehr kurzen Abschlussdiskussion wurde der gerade fertig gestellte Umbau der Kölner Waisenhauskirche aufgrund der Sensibilität im Umgang mit der originalen Substanz und Raumwirkung bewundert und der Anlage bereits jetzt der Status eines neuen sozialen Mittelpunkts im neuen Stadtviertel zuerkannt.
Die nächste Tagung »Kirche weitergebaut XII« wird am 29.11.2021 stattfinden, dann hoffentlich wieder in Präsenz in der Katholischen Akademie Schwerte!
(Stefanie Lieb)[1] Albert Gerhards (Hg.) unter Mitarbeit von Julia Niemann: St. Ursula in Hürth-Kalscheuren. Pfarrkirche – Profanierung – Umnutzung. Fakten und Fragen. Berlin 2009.
[2] Vgl. Marc Augé: Nicht-Orte. (1992). 2. Auflage München 2011.
[3] Berg aus Beton. St. Hubertus in Aachen. Dokumentation studentischer Abschlussarbeiten am Fachbereich Architektur (https://www.fh-aachen.de/menschen/fissabre/projekte)
[4] Vgl. Gottfried Böhm, Peter Böhm: Das Sakrale in der Architektur. In: Mario Botta, Gottfried Böhm-Peter Böhm, Rafael Moneo: Sakralität und Aura in der Architektur. Hrsg. v. Department Architektur der ETH Zürich. Zürich 2010, S. 52-83.
[5] Vgl. Stefan Netsch: Strategie und Praxis der Umnutzung von Kirchengebäuden in den Niederlanden. Karlsruhe 2018.