Was für eine große letzte Geste! Am Ostertag, dem Fest des Sieges Christi über den Tod, spendet Papst Franziskus mit letzter Kraft der Stadt und dem Erdkreis – urbi et orbi – noch einmal den österlichen Segen. Er lässt sich auch noch einmal zu den wartenden Rompilgern fahren – um Abschied zu nehmen und gewissermaßen die ganze Welt zu umarmen.
Die Wahl von Jorge Maria Bergoglio zum Papst Franziskus am 13. März 2013 markiert eine Zäsur in der jüngeren Kirchengeschichte. Für den ersten Jesuiten und Lateinamerikaner auf dem Stuhl des Petrus war die Kernbotschaft von der Barmherzigkeit Gottes erkenntnisleitend und stilbildend für das kirchliche Handeln wie für kirchliche Strukturen insgesamt.
Erst mit Franziskus wurde die bis dahin weitgehend eurozentrierte katholische Kirche wirklich zur Weltkirche in einer globalisierten Welt, in der der drängende Aufruf, »den Schrei der Armen ebenso zu hören wie den Schrei der Erde« (LS 49) notwendig zu einem fundamentalen Mentalitätswechsel in der Kirche führen musste. In dieser Hinsicht war Franziskus ein gütiger, aber zugleich auch streitbarer Papst, der den Verzweifelten und Verlassenen auf Lampedusa und in Myanmar, im Irak wie im Südsudan menschlich nahe war; der für die Verbrechen der Kirche an den Indigenen in Kanada und Irland einstand; der den Klerikalismus geißelte und jede Art von Missbrauch Schutzbefohlener vehement verurteilte und strukturell dagegen vorging; der sich die Menschenrechtsagenda der Vereinten Nationen zu eigen machte und sich im Schulterschluss mit den Führern der großen Religionen für das Weltgemeinwohl einsetzte, für Frieden und Gerechtigkeit. Das mit dem Großimam al Tayib unterzeichnete »Dokument der Geschwisterlichkeit« (Abu Dhabi, 2018) gilt als Meilenstein im christlich-muslimischen Dialog; die Enzyklika »Fratelli tutti« weist Franziskus als einen leidenschaftlichen Anwalt der Menschlichkeit aus, der entschieden gegen jede menschenverachtende Logik politischer wie wirtschaftlicher Macht aufbegehrte und darum warb, »zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu gelangen, deren Seele die gesellschaftliche Nächstenliebe ist« (FT 180).
Als geschichtlichen Auftrag seines Pontifikats hat Papst Franziskus zweifellos die Hinwendung zur synodalen Verfasstheit der Kirche verstanden und eine Kulturwandel eingeleitet. »Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet.« Damit war strukturell ein pneumatologischer Reformweg der Kirche ohne Denkverbote eingeschlagen, prinzipiell offen auch für Fragen nach innerkirchlichen Grenzüberschreitungen. In Entsprechung zum weltweiten synodalen Partizipationsprozess, mit dem das Vatikanische Pastoralkonzil fortgeschrieben wird, gibt auch die Kurienreform der Evangelisierung strukturell wieder den uneingeschränkten Vorrang. Damit hat Franziskus den Reformprozess wieder aufgegriffen und fortgeführt, den der Konzilspapst Paul VI. seinerzeit so entschlossen begonnen hat. In seiner Autobiographie bekennt sich Papst Franziskus unmissverständlich zu seiner Mission: »Es stimmt, dass der Vatikan die letzte absolute Monarchie in Europa ist, und oft werden in seinem Inneren Grabenkämpfe und Hofintrigen gesponnen.« Doch die Mehrheit der Kardinäle habe im Vorkonklave 2013 »eine solche Reform gefordert« – und dafür hätten sie ihn gewählt!
Als moralische Autorität mit Weltgeltung war Franziskus zugleich ein Papst zum Anfassen, der sich den liebenden Blick für die Gedemütigten und Entrechteten, die Obdachlosen und die Geflüchteten bewahrt hat. Als Pilger der Hoffnung hatte er am letzten Weihnachtsfest die Heilige Pforte im Petersdom aufgestoßen und für die ganze Welt ein Heiliges Jahr ausgerufen, um gleichsam die ganze Menschheit hineinzuholen in den Lebensraum des gütigen Gottes. Nun hat er selbst das Tor zum Leben durchschritten.
(Peter Klasvogt, 21.4.2025)